Samstag, 24. Januar 2009
 
Tschetschenien: Der verschwundene Krieg PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Boris Dieckow, Cap Anamur   
Montag, 18. Februar 2008

Der rapide Wiederaufbau in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny kann nur schlecht über die Verheerungen des Krieges hinwegtäuschen. Ein Lokalaugenschein.

13.908 Kinder wurden im Jahr 2007 im Kinderkrankenhaus in Grosny behandelt. Bei mehr als 2000 Kindern waren Operationen notwendig. Vom Knochenbruch bis zur Blinddarmoperation war alles vertreten, was auch in deutschen Krankenhäusern operiert wird. Speziell was dieses Krankenhaus mit seiner wechselvollen Geschichte der letzten Jahre betrifft, ist das sicher ein kleines Wunder. Wenn ich in diesem Krankenhaus stehe fällt es schwer, mir in Erinnerung zu rufen, welch ein Trümmerhaufen von eben diesem Krankenhaus noch übrig war. Jetzt ist es ein und ein halbes Jahr in Betrieb und was so unendlich schwierig war, ist ein Stück Normalität geworden. Dafür hat es sich gelohnt, jeder einzelne Spendeneuro.

Das gilt genauso für unser Waisenhaus. Es ist schon schade, dass so wenig Menschen dieses Gefühl der Begrüßung in diesem Waisenhaus oder dem Krankenhaus kennen lernen können. Die Dankbarkeit dieser Menschen ist schwer zu beschreiben. Sie erleben zu dürfen, betrachte ich immer wieder als Privileg.

Wer jetzt nach Grosny fährt, wird auf den ersten Blick Schwierigkeiten haben, Indizien dafür zu finden, dass hier ein Krieg stattgefunden hat. Vor allem in den letzten zwei Jahren hat in Grosny und in ganz Tschetschenien ein massiver Wiederaufbau eingesetzt. Die hinlänglich bekannten Bilder des zerstörten Zentrums von Grosny sind Geschichte. Jetzt ist Grosny eine gesichtslose Stadt geworden, verwechselbar mit anderen russischen Städten. Ausgestattet mit der gleichen ideenlosen sozialistischen Architektur, wie sie aus Sowjetzeiten bekannt ist. Wenn es schnell gehen soll, scheint nichts anderes möglich zu sein. Dass so manche Fassade über kümmerliche innere Qualität hinwegtäuscht, bleibt da nicht aus. Aber unter dem Strich muss man konstatieren - ja Tschetschenien wird wieder aufgebaut.

Das "System Kadyrow" funktioniert. Er selbst wird nicht ärmer, aber es bleibt trotzdem etwas übrig für sein Land. Würde es Wahlen zum Präsidenten in Tschetschenien geben - (Gouverneure und Präsidenten der Teilrepubliken werden von Putin seit einigen Jahren ernannt) - Kadyrow würde auch ohne Fälschungen gewinnen. Kadyrow war einer der ersten, die im russischen Staatsfernsehen die geplante Wahl von Medwedew zum neuen russischen Präsidenten begrüßen durfte. Schließlich kamen aus Tschetschenien die besten Wahlresultate für Putin - 99,8%. Die Bilder vom uniformierten Herren, der Hunderte von Stimmzetteln in die Urne steckte, stammten aus Tschetschenien. Soviel Treue will bedacht sein. Und da Medwedew im Sommer in Tschetschenien war, wird es dann auch bei ihm nicht lange dauern, bis sich 20 Meter hohe Transparente von ihm in der Stadt wiederfinden werden. Da Putin ja Ministerpräsident werden will, können seine Bilder direkt hängen bleiben. Alle dürfen glücklich sein. 60.000 russische Soldaten sind in den Kasernen. Sie sind da, aber im Alltagsbild nicht mehr sichtbar. Kadyrow sichert den Menschen in Tschetschenien eine Stabilität, die sie 15 Jahre lang nicht hatten. Wer die Extreme einer Diktatur nicht erfährt richtet sich ein. Und das geschieht in Tschetschenien. Der Preis ist hoch.

Wer spricht da noch vom Foltergefängnis in Grosny? Wer fragt nach den Verantwortlichen der zwei Kriege in Tschetschenien? Wer sucht all die verschwundenen Menschen? Wer spricht noch von den Frauen, die mit den Bildern ihrer verschwundenen Söhne oder Ehemänner vor der OSZE standen, als sie noch in Grosny sein durfte. Wer wird haftbar gemacht werden für das Massaker von Samaschki? Wer spricht von den mehr als 100.000 Toten?

Krieg? Welcher Krieg ?

Der Krieg in Tschetschenien ist verschwunden.

Boris Dieckow, im Februar 2008


< zurück   weiter >